Stillgeschwiegen!
Themen
Einführung
Gegenstand der Ausstellung
Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und dem Untergang der DDR begann ein vielschichtiger Aufarbeitungsprozess, der noch immer andauert. Geschichte und Gesellschaft des zweiten deutschen Staates rückten ins Zentrum des wissenschaftlichen und dokumentarischen Interesses. Dabei standen die verbrecherischen Aspekte des DDR-Regimes und die Folgen für die betroffenen Menschen zunächst im Vordergrund. Dann geriet aber auch das Alltagsleben der DDR-Bürger in den Fokus, die in gesellschaftlichen Nischen, in ihren Familien und Freundeskreisen Glück und Zufriedenheit finden konnten, sich parallel dazu jedoch beruflich wie privat dem System und Staat in unterschiedlichen Variationen anpassen mussten.
Eine wichtige gesellschaftliche Gruppe in der DDR, die bis 1989 nicht als Gruppe auftreten durfte, waren die deutschen Heimatvertriebenen, die mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch Flucht oder Vertreibung in die damalige Sowjetische Besatzungszone (SBZ) gelangten. Sie stammten aus den deutschen Ostprovinzen jenseits der Oder-Neifse-Linie, aus Pommern, Ostpreußen, Schlesien und dem östlichen Brandenburg sowie aus den übrigen deutschen Siedlungsgebieten in Westpreußsen, Danzig, dem Baltikum, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien und der Sowjetunion.
Etwa 4,3 Millionen Vertriebene kamen in die spätere DDR, in das Gebiet der heutigen fünf Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie nach Ost-Berlin. Auf die Gesamteinwohnerzahl der SBZ und DDR gerechnet waren etwa 25 % der Bevölkerung Vertriebene.
Umgang mit dem Schicksal
In Medien und Öffentlichkeit in der SBZ und DDR durften nur die Begriffe „Umsiedler“ oder „Neubürger“ benutzt werden. Tabu waren die Begriffe „Flüchtling oder erst recht „Vertriebener‘. Doch selbst der Begrift „Umsiedler‘, der die tatsächlichen Vorgänge verharmloste, wurde nach 1950 aus dem öffentlichen Sprach- gebrauch verbannt. Das Ziel war, die Neuankömmlinge in der Gesellschaft „stillzuschweigen und unsichtbar zu machen, sie zu assimilieren.
Anfangs standen die Alteingesessenen den Neuankömmlingen meist reserviert, wenn nicht gar feindselig gegenüber. Selbst die spärliche Versorgung der Vertriebenen mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Möbeln und Hausrat rief vielerorts Neid und Missgunst bei der einheimischen Bevölkerung hervor. Und doch erlebten manche Vertriebene auch Hilfsbereitschaft von Seiten derjenigen, die sie aufnahmen.
Die Situation entschärfte sich im Laufe der 1950er Jahre durch den wirtschaftlichen Aufschwung in der DDR. Viele Vertriebene zogen vom Land in die industriellen Zentren, wo sie Arbeit fanden. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt galt als wichtigste Mafsnahme zur Assimilation der Vertriebenen.
Den Vertriebenen gelang es jahrzehntelang, in der DDR kleinere Heimattreffen zu begehen. Diese wurden zumeist vom Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) observiert. Bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 nahmen auch Vertriebene aus der DDR an Veranstaltungen der Vertriebenen in West-Berlin teil.
Situation ab 1990
Mehr als vier Jahrzehnte lang wurde das Lebensschicksal dieser Menschen ausgeblendet und in die private, familiäre Erinnerung abgedrängt. Die politisch verordnete Verschmelzung der Vertriebenen mit der DDR- Gesellschaft und auch deren wirtschaftliche Etablierung mag oberflächlich betrachtet gelungen sein. Eine emotionale und historische Aufarbeitung, die das subjektive Empfinden über die offizielle Negierung des traumatischen Schicksals berücksichtigt, Empathie erzeugt und Interesse am Thema zugelassen hätte, fand bisher nur unzureichend statt.
Bis heute verletzt dieses Defizit die Betroffenen, weil sie sich innerhalb der Gesellschaft und auch von staatlichen Stellen mit ihrem besonderen Schicksal noch immer nicht ausreichend wahrgenommen fühlen. Vielfach führte die Jjahrzehntelange Tabuisierung bei den Folgegenerationen zum Auslöschen der Erinnerung und zum Verlust von Jahrhundertealten Traditionen. Die Chance einer Wiederbelebung liegt darin, dass das Thema nicht mehr nur Privatsache bleibt, sondern auch gesamtgesellschaftlich angenommen wird. Diese Wanderausstellung hat den Anspruch, dazu beizutragen.